Sonntag, 28. Januar 2007

Survival of the Fittest?!?

Der neurobiologische Ansatz oder: Eine kritische Betrachtung des soziobiologischen Ansatzes

Eine augenöffnende Kritik an die Soziobiologie und deren Fehlannahmen, dass die zentrale Antriebe lebender Systeme darauf ausgerichtet seien, sich maximal zu verbreiten und gegeneinander zu kämpfen, liefert Bauer mit seinem neurobiologischen Ansatz und dessen Folgerungen, dass ohne Kooperation die Evolution hin zum Komplexen gar nicht zu erklären und dass der Mensch von Natur aus auf Kooperation getrimmt sei.

Begriffe wie "Konkurrenz" und "Überlebenskampf" sind menschliche Konstruktionen, die aus dem Wirtschaftsleben kommen und von aussen an die Biologie herangetragen worden sind. Es ist an der Zeit einige Annahmen des Darwinismus und der Soziobiologie in Frage zu stellen.[1]

Darwins Abstammungslehre steht aufgrund einer überwältigenden Ansammlung von entsprechenden Funden und Beobachtungen ausser Frage. Die Kritik betrifft einen ganz anderen Punkt, nämlich ob die Evolution tatsächlich nach dem Prinzip des Kampfes um Dasein voranschreitet, ob Gene "egoistisch" sind und ob der Mensch, wie Darwin es formulierte, ein Wesen ist, welches dem Kampf ausgesetzt bleiben muss.[2]

Darwins Modell übersieht die grundlegende Bedeutung des am Anfang aller Biologie stehenden Phänomens der Kooperation.[3]

Die soziobiologische Vorstellung eines "egoistischen Gens" (...) konnte nur von Personen entwickelt werden, die niemals selbst direkt an Genen gearbeitet haben. Das Geheimnis der Vermehrung von Lebewesen ist die Verdoppelung aus sich slebst heraus ist nicht möglich, sie ist ein in höchstem Masse kooperativer Prozess. Die Replikation (Selbstkopie) von DNA ist undenkbar ohne Helfermoleküle, die mit der Erbsubstanz eine kooperiende Einheit bilden.[4]

[Der Mensch] ist - aus neurobiologischer Sicht - auf soziale Resonanz und Kooperation angelegtes Wesen. Kern aller menschlichen Motivation ist es, zwischenmenschliche Anerkennung, Wertschätzung, Zuwendung oder Zuneigung zu finden und zu geben.[5]


Aggression steht - ob direkt oder indirekt - immer in funktionalem Zusammenhang mit dem Grundbedürfnis des Menschen nach Beziehung und ist diesem Bedürfnis unter- oder nachgeordnet.[6]

Aggression ist also kein Selbstweck, sondern steht immer im Dienste des Strebens nach Anerkennung, Beziehung, Kooperation und sozialer Zugehörigkeit.[7]

Der Zweck der Aggression, die gemeinschaftlich ausgeübt wird, besteht darin, Gemeinschaft eben durch gemeinsamen Kampf herzustellen. Dieser Zusammenhang zwischen Bindung und Aggression betrifft nicht nur Gewalt, wie sie von Jugendbanden ausgeübt wird, sondern auch Kampf- oder Kriegskameradschaften. Die von vielen Soldaten zeitlebens wiedergegebenen, erlittenes Leid und eigene Traumatisierungen verklärenden Erinnerungen sind Ausdruck eines gerade unter Todesgefahr manchmal fast ekstatischen Gemeinschaftserlebens.[8]

Das "Gedächnis" der Gene: Die Epigenetik

Gene haben die Möglichkeit, Erfahrungen des Organismus in seiner Umwelt abzuspeichern. Dies kann eine längerfristige Änderung der Arbeitsweise eines Gens bewirken.[9]

Die Veränderung an der genetischen "Verpackung", welche die Funktion eines Gens verändert, ohne dabei Einfluss auf den "Text" des Gens zu nehmen, also ohne die DNA-Sequenz zu verändern, werden als epigenetisch bezeichnet. Für die Funktion der Gene hat die "biochemische Verpackung", also die Epigenetik, nach inzwischen gesicherten Erkenntnissen eine mindestens ebenso weit reichende Bedeutung wie der eigentliche "Text" des Gens. Epigenetische Strukturen wiederum werden in hehem Masse durch Umwelterfahrungen geprägt. Veränderungen an epigenetischen Strukturen können ein Gen bremsen oder völlig ausschalten, sie können es aber auch aktivieren. (...) Ursachen epigenetischer Veränderungen sind in der Regel chemische oder biochemische Substanzen, und zwar sowohl solche, die dem Körper selbst entstammen, als auch von ausserhalb des Körpers kommende Einflüsse (...). (...) auch psychische Erfahrungen bewirken epigenetische Veränderungen, indem sie vom Gehirn in biologische Signale verwandelt werden.[10]

Intensive, prägende Erfarhungen, die in der frühen Zeit des Lebens in das epigenetische Muster eingehen, hinterlassen ihre Spuren unabhängig davon, ob die Erfahrung mit genetisch verwandten oder nicht verwandten Bezugspersnonen gemacht wurden. Daraus folgt, dass wir ausserhalb des eigentlichen Erbgangs nachhaltig biologisch geprägt werden können. (...). Gene und Umwelt, Beziehungserfahrung und körperliche Biologie bilden eine Einheit, soe sind Teil eines kooperativen Projekts.[11]


Wenn es um Verhalten geht, haben biologische Erfahrungen - vor allem solche in der Lernphase des Lebens - (...) eine stärkere Wirkung als die genetische Abstammung. (...). Eine ganze Serie von jüngeren Studien (...) zeigt, dass dort, wo Aggressivität im Sinne eines durchgehenden Verhaltensmusters auftritt, neben selbst erlittenen Gewalterfahrungen insbesondere auch Lernprozesse - und hier neuerdings auch der Konsum von Gewaltvideos und so genannten Killerspielen (Egoshooters) - eine entscheidende Rolle spielen.[12]



[1]Bauer (2006), S. 18-19.
[2]Bauer (2006), S. 20.
[3]Bauer (2006), S. 128.
[4]Bauer (2006), S. 129.
[5]Bauer (2006), S. 21.
[6]Bauer (2006), S. 87.
[7]Bauer (2006), S. 83.
[8]Bauer (2006), S. 85.
[9]Bauer (2006), S. 161.
[10]Bauer (2006), S. 163-164.
[11]Bauer (2006), S. 165.
[12]Bauer (2006), S. 83.

Quellen und weiterführende Literatur/Links:

Bauer, J (2006), Prinzip Menschlichkeit: Warum wir von Natur aus kooperieren (Hamburg: Hoffmann und Campe).

Abegglen, C.M.V. (2006), MILES KOSMOPOLITIS - Brevier für den kritisch urteilenden Soldaten http://www.military.ch/abegglen/papers/miles_kosmopolitis.pdf

Keine Kommentare: